Rauer Seegang für die Wirtschaft oder ein drohender Insolvenztsunami?
Die staatlich angeordnete vorübergehende Einstellung gesamter Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und weiten Teilen der Welt führt zu einem vor kurzem noch kaum vorstellbarem Einbruch der Weltwirtschaft. Je länger diese Maßnahmen anhalten, umso gravierender werden die Folgen auch für die deutsche Wirtschaft sein. Existenzängste verbreiten sich momentan schneller im Land, als der zu bekämpfende Grippe-Virus.
Wir haben Rechtsanwalt Dr. Jörg Schädlich von STAPPER|JACOBI|SCHÄDLICH dazu befragt, wie sich die Sachlage aus Sicht eines erfahrenen Insolvenz- und Restrukturierungspraktikers darstellt. Die Fragen stellte unser Niederlassungsleiter für Berlin und die Region Ostdeutschland, Herr André Beck:
1. Was sind die ersten Anzeichen, die ein Unternehmen momentan verzeichnet, bei denen die Geschäftsführung wirklich Alarm schlagen muss?
Die aktuelle Situation ist außergewöhnlich. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Grippewelle bringen weite Bereiche der Wirtschaft in eine existenzbedrohende Lage. Bei den besonders betroffenen Branchen hat sich der Umsatz innerhalb von wenigen Tagen zum Teil auf null reduziert. Das halten selbst wirtschaftlich gesunde Unternehmen nur für einen begrenzten Zeitraum aus. Im Moment geht es nicht um das Erkennen erster Anzeichen oder das Eingestehen einer wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens. Das ist für Geschäftsführer in normalen Zeiten ja bekanntlich nicht immer ganz leicht. Aktuell geht es vielmehr nur noch darum, ob und ggf. mit welchen Mitteln man die ganz offensichtliche Krise des Unternehmens bewältigen kann.
2. Die Corona-Krise wird so gut wie alle Branchen treffen. Welche Branchen werden zuerst betroffen sein und warum werden andere wahrscheinlich erst Monate später die Auswirkungen spüren?
Unmittelbar betroffen sind zunächst die Branchen, deren Geschäftstätigkeit der Gesetzgeber vorübergehend faktisch untersagt hat. Das betrifft z.B. erhebliche Teile des Einzelhandels, das gesamte Gastronomie-, Veranstaltungs- und Beherbergungsgewerbe sowie den Tourismus. Vergleichbar hart trifft es Unternehmen, die in diesen Bereichen schwerpunktmäßig als Dienstleister agieren, etwa Messebauunternehmen oder Werbeagenturen, aber auch Transportdienstleister etc. Problematisch ist die Lage zudem bei Unternehmen, die auf funktionierende internationale Lieferketten angewiesen sind, die jetzt ggf. für ungewisse Zeit unterbrochen sind. Bei vielen Unternehmen dieser Branchen geht es aktuell schon ums Ganze. Als Erstes kippen natürlich diejenigen, die bereits vor dem März 2020 mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Bei den bislang gesunden Unternehmen kommt es dagegen auf die Dauer der Grundrechtseinschränkungen und die Wirksamkeit der unterschiedlichen Hilfspakete an. Je schneller ein gewisses Maß an Normalität wiederkehrt, um so eher kann es für einzelne Branchen und Unternehmen wieder aufwärts gehen. Leider ist aber bereits jetzt absehbar, dass es in den folgenden Monaten zu einem nachhaltigen Einbruch der Weltwirtschaft kommen wird. Auch die deutsche Wirtschaft wird es hart treffen. Ein allgemeiner tief greifender wirtschaftlicher Abschwung wird nur wenige Branchen verschonen.
3. Es gibt viele Unternehmen, die sich bereits in einem eröffneten Insolvenzverfahren befinden, deren Geschäftsbetrieb jedoch vom Insolvenzverwalter weitestgehend stabilisiert und fortgeführt wird. Nach aktueller Gesetzeslage des COVInsAG stünden diesen Unternehmen keine Hilfen zu, da sie keine entsprechende Bilanz und anderweitige Kennzahlen aufweisen. Sind diese Sanierungen nun dem Untergang geweiht?
Für Unternehmen, die das gerichtliche Restrukturierungsverfahren nicht vermeiden können, gilt bislang die Regel, je größer das Unternehmen und je näher der Zeitpunkt des Insolvenzantrages vor einer Wahl liegt, um so eher gibt es staatliche Unterstützung. Im Insolvenzverfahren sollte es aber in erster Linie Sache der Gläubiger mit Sonderinteressen, der Gesellschafter oder sonstiger Stakeholder sein, die Sanierung im Bedarfsfall zu finanzieren. Der Sanierungserfolg ist zudem häufig maßgeblich davon abhängig, ob ein Investor gefunden werden kann. Der Staat sollte die Überlebensfähigkeit insolventer Unternehmen im Einzelfall grundsätzlich nicht beeinflussen.
In einer Sondersituation wie der jetzigen wäre es aus Sicht der Insolvenzverwalter und Berater in der Eigenverwaltung natürlich wünschenswert, wenn die staatlichen Hilfspakete auch den bereits im gerichtlichen Restrukturierungsverfahren befindlichen Unternehmen zur Verfügung stünden. Bei bestimmten Instrumenten - wie etwa der Kurzarbeit - ist dies ja auch der Fall. Im Sinne der Gesamtwirtschaft zu bedenken ist aber, dass die staatlichen Mittel - anders als von der Politik behauptet - begrenzt sind und nicht vom Himmel fallen. Es muss daher zwangsläufig eine Priorisierung geben.
Inakzeptabel wäre es etwa, Unternehmen, die bereits vor dem März 2020 in der Krise waren, mittels staatlicher Hilfen vorübergehend länger am Leben zu halten. Daher sind "Unternehmen in Schwierigkeiten" in der Regel zu Recht von der Vergabe staatlich gestützter Kredite ausgeschlossen. Für aussichtsreiche Sanierungsversuche nach Insolvenzeröffnung könnte man das freilich anderes sehen. Am ehesten denkbar wäre wohl eine Erleichterung der Kreditvergabe für den Zeitpunkt nach der Bestätigung des Insolvenzplanes oder zugunsten von Auffanggesellschaften nach Umsetzung einer übertragenden Sanierung.
4. Sehen Sie bei dem nunmehr in Kraft getretenen COVInsAG Nachbesserungsbedarf und wenn ja, an welchen Stellen?
Das COVInsAG dient in erster Linie dem Gewinn von Zeit. Viel wichtiger für die Unternehmen sind die staatlichen Hilfspakete und Erleichterungen. Greifen diese, dann wird das COVInsAG nur für den begrenzten Zeitraum benötigt, bis die staatlichen Hilfen auch tatsächlich bei den Unternehmen angekommen sind. Genau hier gibt es im Augenblick die größte Baustelle. KfW-Kredite müssen grds. innerhalb von 5 Jahren zurückgezahlt werden. Zum Teil müssen Sicherheiten hinterlegt werden, die nicht vorhanden sind oder erst geprüft werden müssen. Einige Hausbanken verlangen zudem Sanierungsgutachten oder eine vom Wirtschaftsprüfer geprüfte 5-Jahres-Planung zur Beurteilung der künftigen Kapitaldienstfähigkeit. Unter diesen Voraussetzungen wird es für viele Unternehmen nicht leicht, an die kurzfristig benötigten Mittel zu gelangen. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber insoweit noch einmal nachbessern wird.
Eine Gefahr des COVInsAG sind Fehlanreize und Mitnahmeeffekte. Kritisch zu betrachten sind der - immerhin sachlich und zeitlich begrenzte - Anfechtungsausschluss von inkongruenten Deckungen und die Privilegierung der Rückzahlung von - immerhin nur neu bereitgestellten - Gesellschafterdarlehen. Zudem enthält das Gesetz eine ganze Menge an Tatbestandsvoraussetzungen, die zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten führen werden. Nimmt man allein die negativen Voraussetzungen, dass die Insolvenzreife "nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARSCoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht" oder "keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen", verbunden mit einer Vermutungsregelung zu Gunsten des Geschäftsführers, wenn bis 31.12.2019 keine Zahlungsunfähigkeit bestand, kann man sich die Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten schon jetzt ausmalen. Zu beachten ist auch, dass das Gesetz keine Aussetzung möglicher strafrechtlicher Konsequenzen und der deliktischen Haftung bei materieller Insolvenzreife vorsieht.
Das in Artikel 240 § 1 des COVInsAG geregelte Moratorium vertragsrechtlicher Regelungen mag eine Gelegenheit für Jura-Professoren zum Quälen ihrer Studenten sein. In der Praxis dürfte diese Regelungen dagegen kaum Erleichterungen bringen. Eine abstrakt generelle Regelung in einer derart komplexen Gemengelage, in der das Leistungsverweigerungsrecht des einen, die Existenz des anderen bedrohen kann, vermag auch der ideale Gesetzgeber letztlich nicht zu finden. Hier sollten die Beteiligten unbedingt pragmatische außergerichtliche Lösungen finden. Im Ergebnis gibt es daher meines Erachtens weniger Nachbesserungsbedarf, als die Notwendigkeit, das Gesetz möglichst schnell wieder außer Kraft treten zu lassen bzw. dessen Geltung nicht unnötig zu verlängern.
5. Kann eine in den aktuellen Medien vorhergesagte Insolvenzwelle noch verhindert oder zumindest abgemildert werden und wenn ja, wie?
Nein - die Insolvenzwelle lässt sich nach meiner Einschätzung nicht mehr verhindern. Sie hat ja mit den Insolvenzen großer Einzelhandels- und Restaurantketten bereits begonnen. Es gilt eher zu verhindern, dass daraus ein Tsunami wird. Zu hoffen bleibt vor allem, dass das Gesamtsystem nicht kollabiert, was z.B. mit Blick auf Europa, die Staatsverschuldung und das Finanzsystem alles andere als selbstverständlich ist. Die anstehende Reform der Insolvenzverfahren natürlicher Personen mit einer zu erwartenden Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf maximal drei Jahre ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Anders als viele Unternehmen in der Rechtsform der Kapital- oder Personengesellschaft, welche die Krise nicht überleben werden, muss den dahinter stehenden - häufig persönlich verpflichteten - natürlichen Personen und den vielen betroffenen Einzelunternehmern eine wirtschaftliche Perspektive zum Neustart gegeben werden.
Autor: Dr. Jörg Schädlich, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Insolvenzrecht, geprüfter Betriebswirt (ILS), STAPPER|JACOBI|SCHÄDLICH RECHTSANWÄLTE - PARTNERSCHAFT.
Dr. Jörg Schädlich ist seit 17 Jahren in der Insolvenz- und Restrukturierungsbranche tätig und wird seit 2013 von verschiedenen Amtsgerichten in Mitteldeutschland regelmäßig zum Insolvenz- und Sachwalter bestellt. STAPPER|JACOBI|SCHÄDLICH ist eine auf die Insolvenzverwaltung und Restrukturierung spezialisierte mittelständische Kanzlei, bestehend aus einem Team von ca. 50 qualifizierten Mitarbeitern, die vorwiegend in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und Bayern tätig sind.
Bildnachweis: (© agrarmotive - stock.adobe.com / STAPPER)